Heute möchte ich ein paar Gedanken zu einem Thema in den digitalen Äther schicken, dass mich in unregelmäßigen Abständen immer wieder mal auf die Palme bringt: Die Berichterstattung über eines meiner liebsten Hobbies – das Stricken!
Eins vorweg: Ich habe selber mal „irgendwas mit Medien“ studiert. Ich liebe guten und kreativen Journalismus. Ich freue mich, wenn über mein Hobby berichtet wird. Leider ist das, was man in „der Presse“ (jaja, Verallgemeinerung, es gibt auch Ausnahmen, etc) über das Stricken so lesen kann, in der überwiegenden Mehrheit der Fälle meistens a) schlecht recherchiert, b) voller ätzender Klischees oder c) ein alter Hut (zumindest für uns strickende Zunft). Meistens ist es sogar eine Kombination aus allen drei Möglichkeiten.
Heute war es wieder soweit: Ich scanne mal nebenbei diverse Online-Zeitungen und meine Augen bleiben bei der FAZ an ein paar Schlagworten hängen, die mein Herz höher schlagen lassen: „Masche“, „Internet“, „Stricken“. Wohooo, denke ich mir, ein Artikel übers stricken – ich bin ja in dieser Hinsicht eine kleine optimistische Glückskugel und hoffe immer auf das Beste – und in Kombi mit „Internet“, das könnte ja vielleicht was Interessantes sein.
Doch leider weder ich, wie nur zu oft, enttäuscht. Schon der Teaser und der erste Absatz sind voll mit den üblichen Klischees: Eigentlich ist stricken ja voll altbacken, das machen nur Omis, deswegen müssen hippe Gründerinnen kommen und einen „Coolness-Faktor“ da reinbringen. Hipster und so. Neu und amüsant war dabei für mich das Klischee, dass in Wollläden nur ganz schrecklich blasse Farben zu haben sind, die einen wieder rückwärts aus der Tür herausfallen lassen- Da frage ich mich schon ernsthaft, in welchen Wollläden man denn da unterwegs war (zur Ehrenrettung muss man sagen, dass die erste Tirade gegen das „uncoole Oma-Stricken“ von den zwei hippen Gründerinnen selbst kommt).
Der Rest des Artikels ist dann – neben einer kostenlosen Werbeveranstaltung für besagtes Start Up – voll mit üblichen abgedroschenen Weisheiten: Junge Frauen (wenigstens wird nix über ihr Aussehen geschrieben – womöglich sind es auch noch gut aussehende Frauen, die stricken, mannoman!) studieren irgendwas mit Mode, pappen ein hippes Label auf Baumstamm-Nadeln und dicke Neon-Wolle – vermutlich zu nicht unerheblichen Teil aus Plastik – weil das angeblich Anfängerfreundlich ist und wumms, stricken ist cool! Achja, und voll neu und klug nutzen die beiden auch Social Media zur Vernetzung und Vermarktung. So hip sind halt nur Hipster!
Ich finde es schon äußerst erstaunlich, dass hier so getan wird, als sei die Vernetzung von Strickern/innen der heilige Gral, der soeben erst gefunden wurde und Stricken so aus dem blassen Mohair-Sumpf der Altbackenheit gezogen wird. Es ist schon traurig, dass die Journalistin anscheinend noch nicht einmal google bemüht hat, um wenigstens zu versuchen, sich ein Bild zu machen, was in der Strickwelt so los ist. Stricker/innen vernetzen sich schon jahrelang! Ravelry hat millionen Mitglieder aus der ganzen Welt. Stricken ist nicht erst seit gestern wieder „im Trend“.
Und warum muss stricken überhaupt „hip“ sein? Warum ist es nur berichtenswert und cool, wenn irgendwelche Hipster-Label irgendwelche Billig- Plastikwolle in scheußlichen Farben zu Mondpreisen verkaufen? Das wäre ja noch hinnehmbar, wenn nicht alles andere als „altbacken“ abgetan würde. Stricken hat so viele Facetten, so viele unterschiedliche Leute stricken – und selten wird sich die Mühe gemacht, mal wirklich zu recherchieren um vielleicht mal eine Geschichte aus einem neuen Blickwinkel zu schreiben. Aber lieber greift man tief in die Klischee-Kiste.
Eine Sache habe ich noch vergessen: Berichtenswert ist es natürlich auch, wenn Männer zu den Nadeln greifen. Nichts macht dieses Hobby anscheinend für die Presse so interessant. Aber auch das ist ein alter Hut und greift zudem noch tief in die Gender-Klischee-Kiste (oder Mariannengraben!): Stricken ist nämlich nicht nur was für Opas, sondern auch rein Frauen vorbehalten! Und stricken Männer, ist das anscheinend genauso interessant wie Frauen, die einen Akkuschrauber bedienen können! Das ist billig. Und es ärgert mich. Wie viel interessanter wäre doch ein Blick in andere Kulturen, wo das Stricken teilweise reine „Männersache“ ist bzw. war. So würde man manches Klischee aufdecken und zeigen, wie unterschiedlich das auf der Welt so gehandhabt wurde.
Liebe Journalisten/innen, ich habe einen Wunsch: Wenn ihr über mein Hobby schreibt, gebt euch doch ein bisschen Mühe. Seid neugierig und sucht wirklich überraschende Perspektiven. Es gibt so viele Geschichten zu erzählen:
Von Strickern/innen, die sich mitten in der Nacht den Wecker stellen, um ein Updates eines Wollshops auf einem anderen Kontinent nicht zu verpassen.
Vom Stricken, das Menschen online verbindet und auch in der Realität zusammenführt.
Von Färbern/innen, die mittlerweile vom Wollefärben leben können. Bei denen Busladungen mit Strickern/innen aus der gesamten Welt einfallen, um Wolle zu kaufen.
Von Strickern/innen, die in der digitalen Welt eine unheimlich soziale Gemeinschaft bilden, die Geld sammeln, um Mitstricker/innen, die Ihre/n Partner/in verloren haben, finanziell zu unterstützen.
Von Wollfestivals auf der ganzen Welt, auf denen sich hunderte Strickbegeisterte treffen.
Von alten Stricktechniken, von der Vielzahl an Wollarten, von Strickern/innen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, vom Aussterben bedrohte Schafrassen zu erhalten.
Es gibt so viele Geschichten, die erzählt werden können. Aber stellt mich nicht als altbackene Oma hin!
Word!
Ich freue mich, Dich und so viele tolle Strickerinnen zu kennen, die alles andere als altbacken sind und trotzdem keine Neonfarben in Polyacryl verstricken.
Beim Mohair-Sumpf musste ich aus aktuellem Anlass laut loslachen.
Du weißt warum.